Author Topic: Wir in den Medien  (Read 5260 times)

hellboy

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Re: Wir in den Medien
« on: 2015, 05, 08; 12:57:51 »
Quote from: man tau
Vom politischen Nutzen der Hate Speech
Julia Schramm gibt eine Broschüre über den Hass im Netz heraus

„Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer Frei!“

Mit diesem witzigen Einzeiler unterstützte die damalige Piraten-Politikerin Julia Schramm zu Beginn des letzten Jahres ihre Parteikollegin Anne Helm, die zum Jahrestag der Bombardierung von Dresden mit nackten Brüsten posiert hatte. Nicht aus sexualisierendem Kalkül, natürlich, sondern damit der Spruch „Thank you, Bomber Harris“ zu sehen war, den sie auf ihren Oberkörper geschrieben hatte.

„Kartoffeln“, das ist eine abfällige Bezeichnung für Deutsche – der Begriff „Kartoffelbrei“ bezieht sich also auf zu Brei gebombte Deutsche, die am Ende des Zweiten Weltkriegs im vom Flüchtlingen überfüllten Dresden zum Opfer der von Admiral Arthur Harris geleiteten englischen Luftangriffe  geworden waren.

Die infantile Belustigung über den Tod von vielen tausend Menschen ergänzte Schramm noch durch ebenso kecke Sprüche wie „Stalingrad war wunderbar – Nazi-Opa, bleib gleich da“.

...
 
Rassistisch sind immer nur die anderen „Hate Speech konkret zu definieren oder zu katalogisieren, ist kaum möglich, denn was Hate Speech ist, ist immer vom Kontext abhängig.“ (14) Dass eine Definition kaum möglich ist, hindert Julia Schramm hier natürlich nicht daran, den so massiv aufgeladenen Begriff „Hass" ausführlich zu nutzen und zu politisieren.

Dabei sprechen gleich mehrere Gründe erheblich dagegen, dies zu tun.
 
Zum einen ist kaum etwas so gut geeignet wie die Unterstellung von Hass, eigene Aggressivität und Brutalität zu leugnen und in die Feinde zu phantasieren. Der Aufmarsch der Brachialrhetoriker, den Schramm hier für die Antonio Amadeu-Stiftung öffentlichkeitswirksam gegen den Hass im Internet paradieren lässt, hat in eben diesem Sinn etwas durchaus Komisches.

Wer zudem politische Konflikte mit Hass erklärt, nicht mit – jeweils mehr oder weniger legitimen – unterschiedlichen Interessen, der entfernt sich von einer zivilen Kultur, anstatt sie zu fördern. Denn zwischen Interessen ist schließlich ein Ausgleich möglich – wenn sich aber gewaltbereite Hater und ihre Opfer gegenüberstehen, kann es nicht um einen Ausgleich gehen, sondern nur noch um den Schutz der Opfer.

Die Rede vom Hass ist so ein zentrales Element einer Freund-Feind-Logik, die einen friedlichen Ausgleich von Interessen bloß als Kollaboration mit dem Feind interpretieren kann. Denn wenn sich die Guten (wir) und die Bösen (die anderen) begegnen, wäre jeder Kompromiss eine Bechränkung des Guten – eine wirklich vertretbare Lösung kann nur im Verschwinden der Bösen bestehen.

Ganz in einer Freund-Feind-Logik bewegt sich Julia Schramm ohnehin. Dass ihre brutalen Kommentare zur Bombardierung Dresdens nicht nur aus dem demokratischen, sondern auch aus dem rechtsradikalen Spektrum angegriffen wurden, macht Kritik an ihr in einigen linken Kreisen fast unmöglich: Die Feindschaft von Rechtsradikalen immunisiert hier auch gegen berechtigte Einwände.

Dass aber jemand Arschlöcher zu Feinden hat, heißt ja nicht lange nicht, dass er ein ehrenwerter Mensch ist.

Mehr noch: Die beliebige Unterstellung des Hasses beutet eben die Menschen aus, die tatsächlich Opfer von Hass geworden sind. Amadeu Antonio wurde 1990 von rassistischen Schlägern in Eberswalde ermordet, wenige Wochen vor der Geburt seines Sohnes. Es instrumentalisieert das Gedenken an ihn, wenn nun in seinem Namen weiße Akademikerinnen und Akademiker  ihre – zum guten Teil selbst initiierten – Auseinandersetzungen im Netz als Gewaltakte verkaufen, die rassistischen Gewaltakten vergleichbar wären.
 
Der ermordete schwarze Mann hat hier einen Wert bloß als Mittel zum Zweck, um beliebigen politischen Interessen anderer Gewicht zu verleihen. Keiner der Beteiligten kommt auf die Idee, dass diese Vereinnahmung und Funktionalisierung selbst rassistisch ist.

Ähnliches gilt für das Andenken an ermordete und verfolgte  Juden. Dass die Schrift der Amadeu-Stiftung Rassismus und Antisemitismus verbindet, hat gute Gründe, auch wenn beides nicht identisch ist. Dass sie aber Kritik am Feminismus dazu zählt, als bilde alles zusammen ein düsteres Dreigestirm reaktionärer und menschenfeindlicher Politik – das beutet den wichtigen demokratischen Konsens gegen Rassismus und Antisemitismus für eigene Zwecke aus.

Dabei ist ein wesentlicher Unterscheid ja offensichtlich: Es gibt selbstverständlich keinen seriösen, demokratischen Rassismus, und es gibt selbstverständlich keinen seriösen, demokratischen Antisemitismus. Es gibt aber, vielfältig und aus ganz unterschiedlichen politischen Richtungen, seriöse und demokratische Kritik an feministischen Positionen oder einfach an einer Geschlechterpolitik, wie sie insbesondere vom Familienministerium aus betrieben wird.

Wieder einmal ist es nun ausgerechnet dieses Familienministerium, das aus Steuermitteln eine politische Verleumdung von Kritikern der eigenen Politik finanziert. Die durchaus hetzerische Gleichsetzung von Hass und kritischen Kommentaren drückt sich dabei schon im unfreiwillig selbstentblößenden Untertitel der Broschüre aus: „Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet“. 
 
Offensichtlich hat die Gleichsetzung solcher Kritik mit rechtsradikalen Positionen vor allem das Ziel, die Kritiker zu beschämen, ihnen die öffentliche Rede so weit wie möglich zu erschweren und ihnen die Würde des besseren Arguments grundsätzlich und unbesehen abzustreiten.

Gerade in dieser Hinsicht aber ist das Ende der Vorrede sehr interessant. Ich bin mir nicht vollständig sicher, ob Heiko Maas das dort in diesem Sinne gemeint hat – aber gerade Menschen, die für die Unteilbarkeit von Menschenrechten eintreten, für die Menschenrechte von Männern und Jungen ebenso wichtig sind wie die von Frauen und Mädchen, können sich von unserem Justizminister zum Weitermachen ermutigt fühlen. Er schließt nämlich mit den Worten:

„Wenn die Würde von Mitmenschen angegriffen wird, darf es niemals Schweigen, sondern muss es stets Widerspruch geben.“

http://man-tau.blogspot.de/2015/05/vom-politischen-nutzen-der-hate-speech.html

Ich empfehle unbedingt, den ganzen Text zu lesen. Er untermauert mit Beispielen und links die beschriebenen Vorgänge.

ahoy
hellboy
Darwin was wrong.                   i'd rather be morally right
Man is still an ape.                   than politically correct!