Author Topic: Nach wienux jetzt auch limux vor dem aus  (Read 470 times)

hellboy

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Nach wienux jetzt auch limux vor dem aus
« on: 2014, 08, 19; 13:04:04 »
Quote from: Andi Popp
Münchener IT zurück in die Vergangenheit?

Wie die SZ berichtet, prüft die Stadt München den Aussteig aus Linux und die Rückkehr zu Microsoft Windows. Begrüßt wird dies allem Anschein nach vor allem vom zweiten Bürgermeister Josef Schmid (CSU), aber auch von OB Dieter Reiter (SPD).
Damit fasst die SZ im Wesentlichen eine Diskussion zusammen, die schon seit etwa einem Monat stattfindet. Leider fehlt die Gegenseite in dieser Diskussion komplett. Grund genug, die wichtigsten Punkte hier noch einmal zusammenzufassen.

Kritik an LiMux ist vollkommen unfundiert

Die Kritik der beiden Münchener Spitzenpolitiker ist vollkommen unfundiert. Die Aussagen lassen sich im Wesentlichen als »Linux kann nix und ist doof« zusammenfassen. Konkrete Argumente gibt es dagegen wenige und die, welche es gibt strotzen nur so vor Unwissen über die technischen Sachverhalte. Einige Beispiele:

- Reiter meint dass freie Software “gelegentlich den Microsoft-Anwendungen hinterherhinke”. Worum es im dabei konkret geht, sagt er nicht. Er unterschlägt auch, dass Microsoft sehr häufig der freien Software hinterher hinkt. Bestes Beispiel ist hier das auf Linux basierende mobile Betriebssystem Android, welches das Microsoft Betriebssystem Windows Mobile schon lange in den Schatten gestellt hat.

- Reiter musste auf sein Diensthandy warten, weil erst ein »externer Mailserver« eingerichtet werden musste. Genaueres weiß man über den Sachverhalt nicht, aber das Problem klingt eher so, als hätte es seinen Grund in der Infrastruktur – etwa der Netzwerkarchitektur oder Sicherheitsvorkehrungen. Dass es mit dem Betriebssystem überhaupt nichts zu tun hat, hat zumindest schon der IT-Chef der Stadt bestätigt.

- Schmid vermisst »ein einheitliches Programm für E-Mails, Kontakte und Termine«. Der LiMux-Client kommt mit Thunderbird (E-Mails und Kontakte), der wiederum kann in unter einer Minute um das Add-on Lightning erweitert werden, das sich um Termine kümmert. Voilá.

Probleme treten mit Windows genauso auf

Die Infrastruktur der Verwaltung einer Metropole wie München ist nicht mit der eines Einfamilienhauses vergleichbar. Sie ist deutlich komplexer und kann nicht mal eben innerhalb eines Tages umgebaut werden. Aus diesem Grund treten viele Probleme (z.B. Reiters Handy) ganz unabhängig vom Betriebssystem auf, also genauso mit Windows.
Darüber hinaus kann jeder, der schon mal im IT-Support gearbeitet hat, ein Lied davon singen (um Reiters Wortwahl zu gebrauchen), dass Anwender mit Windows genauso ihre Schwierigkeiten haben, gerade in einer komplexen Infrastruktur.
Auch das von Schmid angeführte Argument dass »Linux sehr kostenintensiv ist, weil sehr viel selbst programmiert werden muss«, geht an der Realität vorbei. Es muss immer viel selbst programmiert werden, wenn man spezielle Wünsche hat, völlig unabhängig vom Betriebssystem.

Die Mär von den Standardprogrammen

Schmid sagt: “Wenn die ganze Welt mit einem Standardprogramm arbeitet, dann ist es wichtig, dass wir auf dem gleichen System sind.” Der Punkt hierzu ist: es gibt keine Standardprogramme. IT-Standards beziehen sich auf Protokolle, Dateiformate, Sprachen und Ähnliches, aber nicht auf Software. Wenn es zum Beispiel um das Darstellen von Webseiten geht, dann lautet der Standard HTML und nicht Firefox, Chrome oder Internet Explorer. Die Idee ist, dass jeder Browser diesen Standard implementieren kann. Gäbe es de facto nur einen brauchbaren Browser, sprächen wir nicht von einem Standard, sondern von einem Monopol. Der entscheidende Unterschied ist: ein Standard ist etwas Gutes, ein Monopol etwas Schlechtes.
Software-Monopole halten sich unter dem Namen »Standardsoftware« leider ziemlich zäh in Unternehmen. Das beste Beispiel – dass durchaus der Aufreger in der LiMux-Debatte sein könnte – sind Office-Dokumente. Mit Microsoft Office erstellte Dokumente und mit freien Office-Anwendungen erstellte Dokumente haben bis heute Kompatibilitätsprobleme. Die Schuld dafür wird meist der freien Software in die Schuhe geschoben und das, obwohl in Fachkreisen längst klar ist, dass Microsoft Office mit seinem total verkorksten, selbst nicht einzuhaltenden OOXML-Standard das Problem ist. Dennoch setzen Unternehmen häufig auf die »Standardsoftware« Microsoft Office. In der Politik darf man diesen Fehler aber nicht machen. Es ist eine wichtige Aufgabe politischer Entscheidungsträger, Standards zu unterstützen und eine Monopolbildung durch nicht standard-konforme Software zu verhindern.

Eine Rückmigration ist teuer

Die Umstellung von einer Software auf eine neue (Migration) ist immer mit Aufwand verbunden, darunter Anschaffungen, Installation, Problembehebung, Schulung und höherer Support-Aufwand in der Einführungsphase. Auch die Umstellung der Stadt München auf Linux hat diesen Aufwand verursacht und verursacht ihn immer noch, wie wir gerade sehen. Die Stadt München hat über 20 Mio. € in die Hand genommen um die Umstellung auf Linux zu finanzieren. Eine Rückmigration auf Windows würde ebenfalls wieder Aufwand und Kosten verursachen.

Closed-Source-Software ist ein Sicherheitsrisiko

Das letzte und gleichzeitig wichtigste Argument lassen Schmid und Reiter leider vollkommen aus. Microsoft ist ein US-Unternehmen, dass von einem US-Geheimgericht (FISA-Court) in einem geheimen Urteil dazu gezwungen werden kann – und mit hoher Wahrscheinlichkeit schon dazu gezwungen wurde –, eine geheime Abhör-Schnittstelle für die NSA einzubauen. Während dies für manche »Ich habe ja nix zu verbergen«-Heimanwender eher eine untergeordnete Rolle spielt, haben die Rechner der Stadtverwaltung München Zugriff auf viele sensible personenbezogene Daten, wie etwa die des Melderegisters. Da Microsoft eine Closed-Source-Strategie fährt, ist es nahezu unmöglich, eine solche Abhörschnittstelle zu erkennen, exakt zu lokalisieren und zu schließen.
Open-Source-Software ist natürlich auch nicht 100% davor gefeit, Datenlecks zu produzieren (Stichwort: Heartbleed), aber der offene Source-Code macht das gezielte Einschleusen einer Abhörschnittstelle nicht nur deutlich schwieriger, sie ist gleichzeitig auch viel einfacher zu entdecken und kann grundsätzlich von jedermann auch selbst geschlossen werden.
Eine Migration von staatlicher IT-Infrastruktur auf offene Plattformen ist seit der NSA-Affäre damit eigentlich obligatorisch. Häufig wird allerdings bis heute der Migrationsaufwand gescheut. Die Stadt München hat diese Migration aber fast vollständig abgeschlossen. Zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund einiger vage formulierter Probleme mit der Benutzerfreundlichkeit einen Rückzieher zu machen ist absolut unverantwortlich.

Fazit

Das LiMux-Projekt der Stadt München ist ein Vorzeige-Projekt in der Modernisierung städtischer IT-Infrastruktur. Die IT der Stadtverwaltung ist damit nicht nur offener und standardkompatibler, sondern auch robuster gegenüber Spionage, die heute leider allgegenwärtig ist.
Schmids Aussage »Uns war damals schon klar, dass sich das nicht durchsetzen wird, weil wir als Kommune nicht die ganze Welt verändern können.« zeugt nicht nur von fehlenden politischen Ambitionen, sondern marginalisiert auch die Mammut-Leistung, die seine städtische IT mit diesem Pionier-Projekt geleistet hat. Die Tatsache, dass Reiter und Schmid das Datensicherheitsproblem noch nicht einmal erwähnen, ist ein Armutszeugnis. Ihre Aussage lässt sich damit im Wesentlichen auf »Scheiß auf die Sicherheit der sensiblen Daten der Bürger. Ich will Outlook!« reduzieren.

Ich kann nur hoffen, dass die von Schmid erwähnte unabhängige Expertengruppe ihrem Namen alle Ehre macht und ihre Empfehlung auf Basis fachlich fundierter Argumente abgibt und nicht in die gleiche Falle tappt wie Reiter und Schmid. Oder spielt es hier vielleicht gar eine politische Rolle, dass Microsoft sich 2016 in München niederlassen will? Vor diesem Hintergrund wirken die Aussagen von Schmid und Reiter geradezu gekauft.

https://piratenpartei-bayern.de/2014/08/19/muenchener-it-zurueck-in-die-vergangenheit/

Wenn die Politik in Wien bei Microsoft die Hand aufgehalten hat, können die Münchner das natürlich auch. Die werden limux genauso brutal abwürgen wie wienux damals.

ahoy
hellboy
« Last Edit: 2015, 03, 01; 16:26:38 by hellboy »
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Re: Nach wienux jetzt auch limux vor dem aus
« Reply #1 on: 2014, 08, 19; 13:40:18 »
Als wir piraten noch netzpolitik gemacht haben, gab es darüber schonmal eine Diskussion.

http://forum.piratenpartei-wien.at/viewtopic.php?f=2&t=128#p277

Allerdings nicht lange. Lag wohl daran, daß damals schon die Unterwanderung der piratenbewegung durch die Linken und politkarrieristen, und damit ihr totalversagen begonnen hat.

ahoy
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